Tag 3 Chur – Chiavenna (95 km und knappe 2000 Höhenmeter)
- Ralph
- 18. Aug. 2022
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 10. Mai 2023

Der Tag hatte alles. Höhen und Tiefen. Im wahrsten Sinne. Also eins wurde mir heute klar, ich habe nicht zu viel Gepäck dabei. Die 130 kg Gesamtgewicht sind genau richtig, nicht zu wenig, das Fahrrad scheint es auszuhalten, und mich bringt es an die Grenzen. Idealgewicht. Morgens fing schon mal gut an, Regen! Also in die Montur und nach dem Einkaufen los. Unterwegs hellte es aber schnell auf, sehr gut. Die ersten Zacken nahm ich noch in voller Regenmontur, das wurde mir dann aber zu feucht vom schweiß her. Immer schöne den Hinterrhein lang, tolle Landschaft. Als es dann direkt in die Alpen ging, Richtung Splügen zog ich erstmal die Regenkleidung aus. Ich war klatschnass, durchgeschwitzt. Auch hier schön schön schön, heute gab es gute Fotos, trotz (oder wegen?) des Wetters. Den Berg hoch trocknete ich wieder soweit, es wurde auch merklich kühler. Nicht kalt, aber kühler, in der Ferne konnte ich auch schon die dunklen Wolken ausmachen, so um zwölf Uhr sollte ich in Splügen sein, für da war dann auch Regen angesagt. Also weiter hoch. Was mir in der Schweiz immer wieder auffällt, sind die vielen vielen Baustellen mit der die Straßen in Stand gehalten werden. Großartig. Sollten wir in Deutschland auch mal machen. Zur Finanzierung, neue Idee, PKW-Maut? Hihi. Nein, im Ernst, auch die Radwege sind zum Großteil sehr gut zu befahren auch die Schotterwege. Um zwölf war ich dann auch oben in Splügen angekommen und machte rast am Sufnersee. Pause, ich ließ mir Zeit. Unterwegs hatte ich dann meine Baumwolljacke angezogen, die musste auch erstmal wieder trocknen, der Schweiß, genauso wie mein T-Shirt. Ich dampfte also aus und starrte in die schöne Landschaft. Ich war so überzeugt, dass ich heute über diesen Pass fahren würde, ich buchte sogar, entgegen meiner üblichen Gewohnheit, das Hotel schon um die Mittagszeit. Dann ging es weiter, in Splügen fing es dann zu regnen, heftig. Also die Montur lag ja griffbereit auf dem Gepäck, warum hab mich gerade trocknen lassen? Also da ich es nicht einsah zu warten, begann der Anstieg die letzten 700 Höhenmeter hoch zum Splügenpass. Der Regen prasselte auf mich ein, meine Kleidung hielt dort noch stand, den Regenschutz am Helm entfernte ich, irgendwie muss ich ja die Hitze regulieren. Den Weg hörte ich "Terminal "von Devin Townsend in der unplugged-version während ich langsam durchweichte, von innen wie von außen. Und kam so in einen Zustand der Trance. Ich war völlig bei mir, all die Nebengeräusche, der Selbsthass, die Selbstzweifel, die Minderwertigkeitsgefühle, der selbstgefällige, selbstdarstellende, egoistische Narzisst, als den mich andere gern darstellen um Kontrolle zu bekommen, alles Negative, die körperlich und geistigen Schmerz die einem zugefügt wurden, die Zurückweisungen, die Enttäuschungen, die Fehlschläge, die Menschen die einen verletzten, all das war, nicht weg, nein aber einfach nicht mehr wichtig. Den ich war im völligen Einklang mit mir selber, ich war/bin mir im vollen Bewusstsein meiner Fähigkeiten, der Kraft, meiner Stärke und Zufriedenheit gepaart mit Stolz und Glück, ein Gefühl der Freude und der Freiheit. Das Bewusstsein über die "Urgewalt" die ich sein kann, jedoch alles unter meiner Kontrolle. Das ist wohl was Leute beim Meditieren suchen (manche finden)? Andere versuchen diesen Zustand mit Drogen zu erreichen. Meine Meditation ist der Berg, das Gewicht, ich kenne diesen Zustand (nicht beim Meditieren, da rasen meine Gedanken), er ist schön, er gibt Kraft und Gelassenheit. Zumeist finde ich diesen Punkt bei körperlicher Erschöpfung, nahe an meiner Grenze. Deswegen habe ich nicht zu viel Gewicht dabei, sondern genau die richtige Menge. Darum ging es. Hab es gefunden, herrlich. Dazu diese Aussicht, da störten auch die fetten E-biker nicht die an mir vorbeizogen die aus ihren feist grinsenden Gesichtern dumme Sprüche nach mir warfen, jede erwiederum meinerseits würde doch euer fragiles Ego zerstören. Das prallte ab, lächelnd zog ich hoch, mit 8 km/h. Mal sitzend mal im Wiegetritt, gleichmäßig. Dann kamen die Serpentinen, langsam kam ich oben an. Durch eine Baustelle war wieder nur einspuriger Verkehr möglich über Schotter, ich zog an wartenden Motorradfahrer im Gegenverkehr vorbei, die mich grüßten. Ich hatte ein lächeln im Gesicht, der Regen/Schweiß lief mir nur so das Gesicht herunter. Immer weiter die Serpentinen hoch. Oben wurde es zusehen kälter und nasser. Bei 8°C und strömendem Regen war ich oben. Alles war nass. Mein mp3 Player viel aus, meine Navigationshandy schwamm nun auch in seiner Halterung, ich war komplett durchnässt, von innen wie außen. Oben traf ich eine Truppe/Familie die wanderten. Mutter/Vater und zwei Teenagertöchter. In kurzer Kleidung, was solls, die trocknet schneller (auch ein Ansatz). Eine der beiden blonden Töchter, mit ihren langen braungebrannten Beinen, bot mir ihre Handschuhe an „Es wird doch richtig kalt bei der Abfahrt“. Ich lehnte dankend ab, zog meine Handschuhe aus, das war mir klar, aber auch diese Handschuhe hätte ich schnell durchweicht. Ich zog meine Sonnenbrille auf (eine die sich selbständig tönt oder auch nicht), denn wenn Wassertropfen auf die Augäpfel eindonnern, das ist mitunter das schlimmste wenn du den Berg runterfährts und los ging es. 35 km bis zum Hotel. Klar die Finger, hin und wieder hielt ich an, wärmte sie durch klatschen auf bis wieder Blut in die Fingerkuppen floss, weiter. Irgendwann dachte ich mir: „Warum vibriert mein Fahrrad so komisch, ist das Gepäck verrutscht?“ Ich hielt an stieg ab, nichts. Ich fuhr weiter, dann wurde es mir klar, das Fahrrad vibrierte weil ich zitterte. Ich zitterte vor Kälte das übertrug sich auf das Fahrrad. Irgendwann hielt ich mal wieder an um wieder gefühl in meine Finger zu bekommen, da stand ein Wohnwagen, den ich schon auf der Auffahrt bemerkt hatte, er hatte mich im höchstmöglichem Abstand überholt (Man kann tatsächlich die Nationalitäten raten während man überholt wird. Ich sag nur Schweizer Tesla Fahrer sind noch gestörter wie die Italiener), ein Engländer. Er trat um seinen Wagen mit zwei Kaffeetassen in der Hand und bot mir einen an. Alex hieß der Mann, ist 3 Wochen in Europa unterwegs, in einer Woche in Rom, vielleicht treffen wir uns da? Auf jeden Fall hat er glaube ich mein leben gerettet. Nach dem Kaffee hörten meine Glieder auf zu zittern und ich erreichte Chiavenna kurz danach. Auch weil es stetig wärmer wurde (ist ja eigentlich immer so, dass sobald du drüber bist, erstmal in eine wohlige warme wand fährst) hörte wohl das Zittern auf. Naja diesmal halt ein bisschen weiter unten. Kaum im Dorf erstmal nochmal einen Dopio? La dolce vita. Einkaufen (1 kg Reis) und dann aufs Zimmer. Hier wurde ich total nett empfangen, super nette Empfangsdame im Albergo-Crimea. Ganz tolle Stadt hier, super gelegen, gefällt mir totl. Sollte den Pass auch mal vom Süden her fahren, nicht bei Regen, wirklich schön hier. Das Desaster offenbarte sich auf dem Zimmer, so dachte ich erst nur mein mp3 Player muss getrocknet werden. Nein auch mein Navigationshandy ist komplett durchnässt und viel noch runter und hat jetzt einen grünen Streifen durch die mitte des Displays laufen. Jetzt sitze ich hier mit Fön und Reis und versuche nicht zu sehr traurig zu sein. Ich meine ich habe noch ein zweites Handy bei (für alle Fälle) aber das wäre schon eine Umstellung….. kann es aktuell nicht laden, noch funktioniert das Netz, WLAN und Display schon nicht. Die Kamaras sind beschlagen, ich bin wohl noch ne weile wach. Dafür hat das Hotel auch ein Restaurant, und was für eins, 4-gänge Menü zum Preis eines McD Besuch in Chur, also was will ich klagen. So ein Handy ist auch nur eine Unannehmlichkeit. Morgen geht es nach Mailand , Marco (Letztem Jahr Austauschstudent bei mir, der beste den ich je hatte, nimmt mich für einen oder zwei Tage bei sich auf. Vielleicht muss ich mir in Mailand ein neues Handy besorgen… . In diesem Sinne, gute Nacht.
P.S.: Heute habe ich viele tolle Bilder gemacht, leider nicht das Netz um sie alle in hoher Qualität hochzuladen, deswegen nur eine bescheidene Auswahl.

Hinterrhein

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Alex the life saver


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